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Keine D&O-Deckung für Geschäftsleiter bei Haftungsinanspruchnahmen nach § 15b InsO?

10.07.2025
Julian Opp
Rechtsanwalt / Partner
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– Hoffnung auf Klärung durch den BGH –

Für Versicherungs- und Haftungsrechtler ein bekanntes Problem, aber für betroffene Geschäftsführer im Ernstfall regelmäßig eine böse Überraschung: Nimmt der Insolvenzverwalter den Geschäftsführer nach Insolvenzeröffnung wegen verbotener Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife (§ 15b InsO) in Anspruch, beruft sich die D&O-Versicherung, durch die sich der Geschäftsführer versichert glaubte, regelmäßig auf Leistungsfreiheit wegen wissentlichen Verstoßes des Geschäftsführers gegen die Insolvenzantragspflicht. Die Leistungsverweigerung durch die Versicherung führt für den betroffenen Geschäftsführer dann häufig direkt in die Privatinsolvenz.

§ 15b InsO ist die rechtsformneutral ausgestaltete Nachfolgereglung der bis zum 31.12.2020 geltenden spezialgesetzlichen Regelungen (§§ 64 GmbHG, 92 AktG, 130a HGB).

Nach § 15b Abs. 1 InsO ist es den geschäftsführenden Organen haftungsbeschränkter Gesellschaften (insb. GmbH, GmbH & Co. KG, AG) untersagt, nach Eintritt der Insolvenzreife (Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO, oder Überschuldung, § 19 InsO) noch masseschmälernde Zahlungen zu veranlassen. Verstoßen sie gegen dieses Zahlungsverbot, sind sie nach § 15b Abs. 4 S. 1 InsO grundsätzlich zur ungekürzten Erstattung jeder einzelnen verbotswidrig geleisteten Zahlung in die Insolvenzmasse verpflichtet.

Zwar trifft die Haftung den Geschäftsleiter nur, wenn neben die objektiven Voraussetzungen des § 15b InsO (Insolvenzreife + Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife) auch ein subjektives Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) tritt, das Verschulden ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aber zu vermuten, weil der Geschäftsleiter verpflichtet ist, die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft jederzeit im Blick zu haben und bei Anzeichen einer (Liquiditäts-)Krise umgehend die Insolvenzreife zu prüfen. Verfügt er hierfür nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse, hat er sich umgehend fachlichen Rat einzuholen.

Aufgrund dieser Rechtsprechung muss der in Anspruch genommene Geschäftsführer im Haftungsprozess das vermutete Verschulden entkräften, indem er darlegt und nötigenfalls beweist, dass zum Zeitpunkt der fraglichen Zahlung doch keine Insolvenzreife vorlag oder eine solche für ihn (ausnahmsweise) jedenfalls nicht erkennbar war, was prozessual eine hohe Hürde darstellt.

Oft enden Haftungsprozesse im Hinblick auf das subjektive Verschulden daher damit, dass das Gericht schlicht feststellt, dass es dem beklagten Geschäftsführer nicht gelungen sei, die Verschuldensvermutung zu entkräften, und ohne dass das Gericht eine Feststellung dazu trifft, ob der Geschäftsführer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.

Da in den Deckungsumfang einer D&O-Versicherung nach den einschlägigen Versicherungsbedingungen (nur) „gesetzliche Haftpflichtansprüche“ fallen, der für die Geschäftsführerhaftung zustände II. Zivilsenat des BGH den Ersatzanspruch nach § 64 GmbHG a.F. (heute § 15b InsO) aber als einen „Ersatzanspruch eigener Art“ qualifizierte, war lange Zeit streitig, ob Haftungsansprüche nach § 64 GmbHG a.F. im Rahmen einer D&O-Versicherung gedeckt sind.

Dieser Streit bzw. diese Ungewissheit war in gewisser Weise sogar nützlich, weil viele Haftungsstreitigkeiten im Vergleichswege beigelegt werden konnten, da wohl insbesondere die Versicherer eine endgültige Entscheidung zu ihren Lasten fürchteten.

In einer vielbeachteten Entscheidung vom 18.11.2020 (IV ZR 217/19) hat der für das Versicherungsrecht zuständige IV. Zivilsenat des BGH den Streit dann schließlich entschieden und geurteilt, dass Haftungsansprüche nach § 64 GmbHG grundsätzlich (gedeckte) Haftpflichtansprüche unter einer D&O-Versicherung sind. Begründet hat der BGH dies insbesondere mit der Erwartungshaltung und dem Verständnishorizont des durchschnittlichen Versicherungsnehmers, der bei Studium der Versicherungsbedingungen erwarte, dass auch ihn treffende Ersatzansprüche nach § 64 GmbHG a.F. versicherte „Schadensersatzansprüche“ im Sinne der Versicherungsbedingungen seien, und keine rechtsdogmatischen Erwägungen zur Rechtsnatur verschiedener Ansprüche vornehme.

Allerdings hat der BGH am Ende der Entscheidung wohl eher versehentlich die Tür zu einem Folgeproblem aufgestoßen: Denn der BGH hat in der Sache selbst nicht geurteilt, sondern die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil dieses noch nicht geprüft habe, ob der beklagte Geschäftsführer seine Pflichten gegebenenfalls wissentlich verletzt habe.

D&O-Versicherungsbedingen enthalten regelmäßig Ausschlüsse, d.h. eine Aufzählung von Ausnahmetatbeständen, bei deren Vorliegen der grundsätzlich gegebene Versicherungsschutz im Einzelfall doch nicht greift.

Ein typischer und regelmäßig anzutreffender Ausschlussgrund ist der Ausschussgrund der „wissentlichen Pflichtverletzung“, der besagt, dass derjenige, der die ihm obliegenden Pflichten positiv kennt und bewusst (wissentlich) dagegen verstößt, keinen Versicherungsschutz genießen soll. Dieser Rechtsgedanke ist auf den ersten Blick wohl auch für jedermann nachvollziehbar und nicht zu beanstanden.

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung liegt grundsätzlich bei dem Versicherer. Dieser muss, will er sich auf seine Leistungsfreiheit wegen wissentlicher Pflichtverletzung berufen, im Deckungsprozess zumindest schlüssige Indizien aufzeigen, die auf eine wissentliche Pflichtverletzung der versicherten Person hindeuten. Erst dann obliegt es der versicherten Person, im Rahmen einer sekundären Darlegungslast Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung doch nicht zulassen.

Im Rahmen der versicherungsrechtlichen Rechtsprechung zu Berufshaftpflichtversicherungen für Angehörige bestimmter Berufsgruppen (z.B. Rechtsanwälte, Notare, Architekten) hat sich allerdings die unter dem Schlagwort „Kardinalpflichten“ zusammengefasste Fallgruppe der „elementaren beruflichen Pflichten“ herausgebildet. Bei solchen „elementaren beruflichen Pflichten“ handelt es sich nach Ansicht des BGH um solche Pflichten, deren Kenntnis von jedem Angehörigen der betreffenden Berufsgruppe erwartet werden kann (so gehört es z.B. zu den elementaren Berufspflichten eines Rechtsanwalts, Fristen einzuhalten).

Handelt es sich bei der von der versicherten Person verletzten Pflicht um eine solche „Kardinalpflicht“, d.h. eine Pflicht, die jeder Angehörige des betreffenden Berufsstandes kennen muss, so ist nach der Rechtsprechung des BGH zu vermuten, dass die Verletzung der Kardinalpflicht wissentlich erfolgte. Die Beweislast dreht sich dann um: Nicht der Versicherer muss darlegen und beweisen, dass der versicherten Person eine wissentliche Pflichtverletzung zur Last fällt, sondern die versicherte Person muss umgekehrt darlegen und beweisen, warum sie die betreffende Pflicht im Einzelfall ausnahmsweise nicht wissentlich verletzt hat.

Nachdem der BGH die Sache in der Entscheidung vom 18.11.2020 an das Berufungsgericht zurückverwiesen hatte, weil dieses noch zu prüfen habe, ob der beklagte Geschäftsführer seine Pflichten wissentlich verletzt habe (s.o.), sind die Obergerichte in mehreren Entscheidungen dazu übergegangen, auch für Geschäftsführer „Kardinalpflichten“ zu definieren und haben die Pflicht, bei Eintritt der Insolvenzreife rechtzeitig Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a InsO), zur „Kardinalpflicht“ eines jeden Geschäftsführers erklärt (OLG Frankfurt, Urt. v. 28.04.2021 –  3 U 6/19; OLG Köln, Urt. v. 16.11.2021 – 9 U 253/20).

Diese „Kardinalspflichten“-Rechtsprechung haben die Gerichte dann in einem zweiten Schritt auch auf die Frage der Deckungspflicht des Versicherers bei einer Haftungsinanspruchnahme des versicherten Geschäftsführers nach § 15b InsO angewendet, weil die Verletzung des Zahlungsverbotes (§ 15b InsO) mit der Verletzung der Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) untrennbar verknüpft sei. Sprich: Wird der Geschäftsführer nach Insolvenzeröffnung vom Insolvenzverwalter nach § 15b InsO in Anspruch genommen, so wird vermutet, dass eine wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers vorlag. Um dennoch in den Genuss der Versicherungsdeckung für die Haftungsinanspruchnahme nach § 15b InsO zu kommen, müssen der Geschäftsführer oder, je nach prozessualer Konstellation, der Insolvenzverwalter die Vermutung der wissentlichen Pflichtverletzung entkräften und ihrerseits darlegen und beweisen, dass im konkreten Fall ausnahmsweise doch keine wissentliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers vorlag.

Dieser Beweis des Gegenteils wird auf der Linie der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung selten gelingen. Denn das OLG Köln hat in der Entscheidung vom 16.11.2021 (9 U 253/20) unter Heranziehung der haftungsrechtlichen Grundsätze ausgeführt, dass der Unternehmensleiter zur beständigen wirtschaftlichen Selbstkontrolle verpflichtet sei und von ihm erwartet werde, sich jederzeit über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft zu vergewissern. Hierzu gehöre insbesondere die Prüfung der Insolvenzreife. Dies mündete in der Feststellung, dass man

Organmitgliedern, die gleichermaßen „blind in die Krise segeln“, […] daher deckungsrechtlich die Verletzung einer Kardinalpflicht vorwerfen [müsse].“

Der Geschäftsführer müsste vor dem Hintergrund dieser strengen Anforderungen schon gute Gründe dafür vorbringen können, warum er die Insolvenzreife im Einzelfall schuldlos nicht erkannt hat (obwohl er seinen Beobachtungspflichten ordnungsgemäß nachgekommen ist).

In den meisten Fällen wird dem Geschäftsführer die Entkräftung der Vermutung einer wissentlichen Pflichtverletzung nicht gelingen, schon weil er in Unkenntnis dieser versicherungsrechtlichen Rechtsprechung dokumentär gar nicht auf die Erfüllung der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast vorbereitet ist.

Die Versicherer haben diese obergerichtliche Rechtsprechung indes dankend aufgegriffen und wenden in der Praxis in Haftungsstreitigkeiten nach § 15b InsO nun regelmäßig eine wissentliche Pflichtverletzung ein. Oftmals kann dieser Einwand nicht entkräftet werden, so dass der in Anspruch genommene Geschäftsführer nun regelmäßig alleine auf dem „Schaden“ sitzen bleibt.

In Teilen der Literatur wird diese Rechtsprechung der Obergerichte mit beachtlichen Argumenten kritisch gesehen:

So wird vorgebracht, dass die Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) und das Zahlungsverbot (§ 15b InsO) inhaltlich zwar eng miteinander verknüpft, aber doch zwei verschiedene Dinge seien. Ob ein Verstoß gegen das Zahlungsverbot (§ 15b InsO) überhaupt eine Kardinalpflicht sei, sei in der Rechtsprechung gar nicht geklärt.

Während die Pflicht, bei Vorliegen eines zwingenden Insolvenzantragsgrundes (§§ 17, 19 InsO) einen Insolvenzantrag zu stellen, wohl zum Elementarwissen eines GmbH-Geschäftsführers gezählt werden könne und das daraus folgende Handlungsgebot – zumindest in der Theorie – recht einfach zu befolgen sei, könne dies für das Zahlungsverbot des § 15b InsO nicht ohne Weiteres angenommen werden. Im Gegensatz zur Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO sei das Zahlungsverbot des § 15b InsO selbst für juristisch vorgebildete Personen nur äußerst schwer zu handhaben. Insbesondere dürften auch im Anwendungsbereich des § 15b InsO nach Eintritt der Insolvenzreife noch bestimmte Zahlungen geleistet werden, solange die Insolvenzantragsfrist (bei Überschuldung immerhin bis zu maximal 6 Wochen) noch zulässigerweise ausgenutzt werde. Welche Zahlungen hierbei erlaubt und welche verboten seien, sei regelmäßig Frage des Einzelfalls und von juristischen und kaufmännischen Wertungen abhängig.

Die Komplexität und Unschärfe der Vorschrift verböten es im Ergebnis daher, bei Verstößen gegen das Zahlungsverbot des § 15b InsO pauschal und ohne nähere Begründung auf die Verletzung einer Kardinalpflicht und damit eine wissentliche Pflichtverletzung zu schließen.

Hinzu komme, dass eine (strafbare) Verletzung der Insolvenzantragspflicht (§ 15a Abs. 4 und Abs. 5 InsO) auch bei Fahrlässigkeit in Betracht komme. Auch die Haftung nach § 15b InsO könne auch bei lediglich fahrlässigem Verstoß gegen das Zahlungsverbot eingreifen. Könne eine Insolvenzverschleppung mithin auch fahrlässig begangen werden, könne bei objektivem Vorliegen einer Insolvenzverschleppung nicht automatisch der Schluss auf eine wissentliche, d.h. bewusste Verletzung dieser Pflicht gezogen werden.

Zudem passe die „Kardinalspflichten-Rechtsprechung“ in den einschlägigen Fällen auch nicht, da es keine homogene Berufsgruppe des „Geschäftsführers“ gebe. Nicht jeder Geschäftsführer verfüge, obwohl er dies eigentlich sollte, über die erforderlichen Kenntnisse, eine prekäre wirtschaftliche Lage auch in den Kontext der Insolvenzreife zu rücken.

Schließlich werde die Entscheidung des BGH zur Einbeziehung von Ansprüchen nach § 64 GmbHG a.F. (heute § 15b InsO) in den D&O-Versicherungsschutz durch diese Rechtsprechung entwertet, weil den Versicherungsnehmern plötzlich erhöhte Darlegungslasten aufgebürdet würden, die diese oftmals nicht erfüllen könnten.

Zuletzt hatte sich das OLG Frankfurt in einem Urteil 05.03.2025 (7 U 134/23) mit der Frage der Deckung von Haftungsansprüchen nach § 15b InsO im Rahmen der D&O-Versicherung auseinanderzusetzen.

Das OLG Frankfurt hat sich hierbei mit den Gegenargumenten der Literatur auseinandergesetzt, diese aber im Ergebnis verworfen.

Die Verletzung der Insolvenzantragspflicht sei die wesentliche Ursache für die durch verbotene Zahlungen bewirkte Masseschmälerung. Insolvenzantragspflicht und Masseerhaltungsgebot könnten nicht trennscharf voneinander abgegrenzt werden und dienten dem einheitlichen Zweck, das Unternehmen und die Gläubiger zu schützen. Die wissentliche Verletzung der einen Pflicht indiziere daher auch die wissentliche Verletzung der anderen Pflicht.

Auch werde die Entscheidung des BGH nicht dadurch entwertet, dass dem Versicherungsnehmer erhöhte Darlegungslasten aufgebürdet würden, da diese weder unerfüllbar seien noch an fehlenden Informationsmöglichkeiten des klagenden Insolvenzverwalters scheiterten, dem neben den Papierquellen des Unternehmens auch die Geschäftsleiter als Auskunftspersonen zur Verfügung stünden.

Das OLG Frankfurt hat allerdings die Revision zum BGH (IV ZR 66/25) zugelassen, weil der Frage, ob die Verletzung der Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) zugleich den wissentlichen Verstoß gegen das Zahlungsverbot des § 15b InsO indiziere, grundsätzliche Bedeutung zukomme.

Mit Spannung bleibt abzuwarten, wie der BGH in dieser für die Insolvenzpraxis überaus wichtigen Frage entscheiden wird. Die entscheidenden Fragen dürften sein, ob (i) es Kardinalspflichten eines Geschäftsführers überhaupt gibt, (ii) ob die Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) eine solche Kardinalspflicht ist und insbesondere (so die Vorlagefrage des OLG Frankfurt), ob (iii) die Verletzung der Insolvenzantragspflicht (15a InsO) auch den wissentlichen Verstoß gegen das Zahlungsverbot des § 15b InsO indiziert.

Ungeachtet der ausstehenden Entscheidung des BGH im anhängigen Revisionsverfahren bleibt die wichtigste Regel für Geschäftsleiter aber, bereits in der Krise ihren Krisenbeobachtungspflichten nachzukommen und insbesondere die Prüfung der Fortbestehensprognose im Sinne von § 19 InsO sorgfältig zu dokumentieren, um sich bereits auf der Haftpflichtebene gegen den Anspruch nach § 15b InsO verteidigen zu können. Denn wenn schon der Haftpflichtanspruch nicht besteht, kommt es auf die nachgelagerte Deckungsfrage gar nicht mehr an.